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Quality Content in Times of Corona

Wir Künstler sind alle in der gleichen Situation: Auch ohne Corona schon immer diejenigen, die nach Aufmerksamkeit gieren, sei es auf der Theater- & Konzertbühne oder auf Lesereisen. Und jetzt betteln sogar die, die sonst eher onlinefaul sind im Internet darum, im Mittelpunkt zu stehen, ich selbstverständlich auch – aber ich bin sowas von müde.

Alle möglichen gebeutelten Kulturschaffenden posten, talken, streamen irgendwas irgendwohin, ganze ehrlich: unterhaltsam ist leider die Ausnahme. Lesungen finde ich schon im echten Leben oft zu lang und zu öde – ich gehe eigentlich nur wegen des Talkteils zu solchen Veranstaltungen bzw. um Menschen zu treffen oder kennenzulernen. Jetzt finden sie schlecht ausgeleuchtet und mies klingend statt, ich habe bisher nur ein paar Minuten in eine reingeguckt, von Menschen, die ich interessant und sympathisch finde, deren Bücher ich auch gut finde oder zumindest für lesenswert halte, habe es aber rein klangtechnisch und ästhetisch wirklich nicht lange ertragen. Will ich da also mitmachen, ein Debütant, den quasi niemand kennt, dessen Erstling eines der vielen Opfer der Corona-Krise ist (mimimi!) und der jetzt jede Aufmerksamkeit braucht? Ich könnte heulen, na klar, es ist fürchterlich, ich habe viele Jahre an diesem bekloppten Buch gefeilt, einen tollen Verlag gefunden, und jetzt: PUFF. Muss ich da also mitmachen, um nicht komplett übersehen und vergessen zu werden? Ja, leider, und na klar, macht doch auch Spaß irgendwie, aber nein, nervt doch total: „Hallo, ich habe ein Buch geschrieben, hier bin ich, hier hier hier!“ Es fühlt sich schmutzig an – schon vor der Krise musste ich mich aufs Übelste beschimpfen lassen für meine Eigenwerbung auf Facebook und Instagram, war auch zeitweise extrem angekotzt von der Notwendigkeit, mitmachen zu müssen und nachträglich entsetzt von den kleinen Dopaminschüben, die ein paar Likes auslösen können, WOW, MEIN ERSTER POST MIT ÜBER XXX LIKES, GEIL, ICH HABE ENDLICH XXX FOLLOWER, kurzer Rausch, und schon bald danach wünschte (und wünsche) ich mir nichts sehnlicher, als eeeendlich einen Bekanntheitsgrad zu haben, der es erlaubt, sämtliche Social-Media-Aktivitäten einfach einzustellen oder, noch besser, von ANGESTELLTEN erledigen zu lassen. Das frisst nämlich Zeit, das ganze Geposte und Kommentiere, da man ja nicht nur postet und kommentiert sondern auch kuckt was die anderen machen, und so ist das einfach nur eine Mischung aus Sucht und Nebenjob, gehört dazu, muss man mitmachen: Eigen-PR. Leider oftmals ein frustrierender Job, da man sich ständig vergleicht, mit beliebteren, erfolgreicheren, lustigeren, schöneren, jüngeren, hipperen, weiseren Leuten. Und immer wenn man ein banales Bild von einem Kuchen oder einer Katze sieht, fällt einem auf, oh Scheiße, ich zeige den Leuten ständig Bilder von meinem UNFASSBAR NIEDLICHEN HUND und mache Bilder von meinen IMMER GLEICHEN WALDSPAZIERGÄNGEN – WER WILL DAS SEHEN??? Und wenn ich dann die witzigen Tweets von Till Raether, Ilona Hartmann, Jan Skudlarek oder Peter Wittkamp lese, oder die klugen, informativen Insta-Posts von Johanna Adorjan oder Insta-Stories von Sophie Passmann, dann denke ich: Wer bin ich eigentlich, dass ich meine, hier mitmachen zu dürfen? Es ist ein Kreuz, ich hasse es, ich will nicht mehr, und jetzt, wo es wichtiger denn je ist, mit QUALITY CONTENT aus der Masse herauszustechen, merke ich, wie social-media-müde ich bin. Die lieben Kolleg:innen Melanie Raabe, Leona Stahlmann und Frank Berzbach legen eine Social-Media-Pause ein, ICH WILL AUCH! Meine Insta-Bubble ist ein endloser Stream aus Buchtipps und digital-Lesungen, dabei ist mein SUB (aka Stapel ungelesener Bücher) inzwischen so groß, dass ich ein extra Regal dafür brauche.

Wie oft war ich schon an dem Punkt, an dem ich dachte: Mein Leben wäre so viel besser ohne Smartphone und Social Media, ohne dieses sich-Produzieren und Vorzeigen und eitler Zurschaustellung von Erfolgen und Glücksmomenten.

Wer will einen Debütautoren über die Notwendigkeit klagen hören, sich selbst vermarkten zu müssen, wenn er im Gespräch bleiben möchte? Angeblich will Melanie Raabe es hören bzw. lesen. Bitte sehr, Melanie, here comes my Gejammer! 

Ich kann nicht aufhören. Corona, dieser Arsch, hat mir mein Debüt derart versaut, und ich habe mein Buch noch nicht aufgegeben. Ich will noch weiter den Kontakt zu Leser:innen von denen mich einige ohne Social Media gar nicht kennen würden, und Kontakt zu den lieben Kolleg:innen pflegen, von denen ich einige ohne Social Media auch nicht kennen würde, ich will Lesungstermine bekanntgeben (es gibt wieder ECHTE LESUNGEN!), will mich mit tollen Rezensionen meines Buches aus dem Insta-Kosmos selbst beweihräuchern und will sehen, wie die großartige Celeste Barber an einer Pole Dancing Stange hängt wie ein nasser Sack. Und freue mich auf die Social-Media-Pause, die hoffentlich irgendwann kommt …