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Wie ich Autor wurde

Letztes Jahr fuhr ich nach Weihnachten für zwei Tage alleine in ein altes Hotel in Lauenburg. Ein Hotel, das nicht nur wie aus den sechziger Jahren aussah, sondern tatsächlich bereits als Kulisse für den in dieser Zeit spielenden Film "Die Banklady“ hatte herhalten müssen. Ich wollte dort in Ruhe meinen Romananfang überarbeiten. Für so etwas war in meinem Alltag als freier Motion Designer und Familienvater kaum Zeit. Das Schreiben war immer ein Hobby, dem ich nur morgens, nachts oder im Urlaub nachgehen konnte. Doch ich hatte mir vorgenommen, endlich Ernst mit meinem Romanprojekt zu machen. Dieses Jahr wollte ich konzentrierter schreiben und noch mehr über Plot und Dramaturgie lernen. Unter anderem stand ein Besuch der narrativa auf dem Plan. Das ist eine Autorenmesse mit Vorträgen, Pitching Sessions und Workshops.

Vor ziemlich genau einem halben Jahr, am 1. Juni 2018 nahm ich im Kloster Andechs mein Namensschild und meinen narrativa-Kugelschreiber entgegen und stürzte mich ins Getümmel. Heute bin ich bei der Elisabeth Ruge Agentur unter Vertrag, btb veröffentlicht im Frühjahr 2020 meinen Roman, (als Hardcover), ich habe einen Hamburger Literaturförderpreis gewonnen, ich kann vom Schreiben leben. Wie konnte sich mein Leben innerhalb von sechs Monaten so verändern?

Es begann damit, dass ich mich vor Ort spontan entschloss, an einer der Pitching-Sessions teilzunehmen.
Eine Pitching-Session läuft so:
Man sitzt im Stuhlkreis mit einer Literaturagentin und ca. 25 anderen Menschen die davon träumen, Schriftstellerin zu werden. Jede hat 5 Minuten, um ihr Romanprojekt zu pitchen, dann gibt es konstruktives Feedback von der Agentin und falls eine der Teilnehmerinnen möchte, kann sie sich auch noch äußern oder der Autorin Fragen stellen. (normalerweise gendere ich meine Beiträge, bei diesem Abschnitt wurde es mir zu kompliziert, so habe ich mich dagegen entschieden und ausschließlich die weibliche Form gewählt, obwohl auch männliche Agenten, Autoren und Teilnehmer zugegen waren, wenn auch in der Unterzahl. Nebenbei ist das eine schöne Art die Humbug-Behauptung zu entlarven, eine rein männliche Ansprache sei nicht diskriminierend, weil "neutral" zu verstehen.)
Mein Pitch verlief wirklich überraschend, ich hätte nicht gedacht, dass meine Story für derartige Erheiterung sorgen würde. Vor allem, weil es sich um eine Zusammenfassung handelte, ich hatte nicht eine Zeile Text vorgelesen. Es verunsicherte mich sogar, dass alle immer wieder lachten, weil ich dachte: Ok, es ist einfach zu bekloppt für die Welt da draußen. Doch die Agentin, die auch lachen musste, wollte anschließend, dass ich ihr meinen ersten fertigen Teil und das Exposé schicke. Mehr hatte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht vorzeigbar fertig und so mailte ich ihr ohne große Erwartungen meinen Text. Nach ein paar Wochen meldete sie sich. Es sei zwar wahnsinnig und man müsse noch viel Arbeit hineinstecken, von einer geplanten zweiten Zeitebene wollte sie mir auch abraten (dass es sogar drei Zeitebenen geben würde, hatte ich erstmal verheimlicht), aber sie habe Lust auf das Projekt. Auch wenn man es wahrscheinlich nicht los würde. Eine Mail später hatte ich einen Agenturvertrag von Agentur 1 im Postfach.
Ich wusste, dass man ohne eine Literaturagentur heutzutage nirgendwo landen kann, dass dies die erste Hürde ist, die ein Autor nehmen muss: Zuallererst eine halbwegs vernünftige, gut vernetzte Agentur finden. Ziemlich erfreut erzählte ich einem alten Freund davon, der in der Buchbranche arbeitet. Er meinte, dass sei in meiner Phase das Beste, was mir passieren könne, riet mir jedoch, noch mindestens zwei weitere Agenturen zu kontaktieren. Ich kannte keine, er hingegen schon, wesentlich größere Kaliber. Zwei Telefonanrufe und Pitches später verschickte ich schon wieder meinen Romananfang. Es war gerade kurz vor Klagenfurt, sie waren mehr oder weniger alle unterwegs zum Bachmannpreis, aber auf der Reise, da ließe sich ja gut lesen.
Zwei Tage später kam eine sehr positive, kurze Nachricht von Valentin Tritschler, dem Agenten der Elisabeth Ruge Agentur (ERA). Bereits am nächsten Tag dann ausführliches und begeistertes Feedback. Und der nächste Agenturvertrag im Anhang. Mein Impostor-Syndrom meldete sich. Da konnte doch irgendetwas nicht stimmen, wie ich mich mit einem Blick auf die Website der Agentur versicherte. Hier wurden so einige Autoren vertreten, die ich selber im Regal stehen hatte - zum Teil sogar im Plattenregal.
Bei Agentur 3, ein Laden mit einem noch beeindruckenderen, weil größeren Autorenportfolio wurde ich zunächst intern weitergereicht, doch der zweite Agent las ebenfalls überraschend zügig. Dann auch Feedback von Agentur 3:
„Sehr schön, man liest selten etwas, dass bereits so fertig ist. Wir würden das gleich mit zur Buchmesse nehmen im Oktober.“
Auch ERA hatte von der Buchmesse gesprochen, dabei war ich noch nicht mal halb fertig!
Ich war kurz davor, in den Urlaub zu fahren, erbat mir Bedenkzeit und wollte danach erstmal alle kennenlernen.
Während des Urlaubs wollte ich auch den zweiten Abschnitt (von fünf geplanten) fertig schreiben, das hatte ich angekündigt, damit wollten sie dann losziehen. Ich fuhr also nach Italien, saß ab dem ersten Hahnenschrei unter Olivenbäumen, schrieb in den Tag hinein und las alle Interviews mit und Artikel über Elisabeth Ruge, die ich im Netz finden konnte. Ich war einigermaßen beeindruckt. Mit Valentin, wir waren längst per Du, hatte ich einen telefonischen Kennenlerntermin mit ihr ausgemacht. Das Gesieze in der Literaturbranche ist mir immer noch fremd, als Grafiker und Musiker bin ich es gewohnt alle bis in die Chefetage zu duzen. Gesiezt werde ich eigentlich nur von gut erzogenen Kindern und auf dem Amt oder in der Bank. Also ein Telefonat mit Frau Ruge. Es wurde ein langes, ein tolles Telefonat, wieder diese Begeisterung für meinen Text, Lomi Lomi für mein Künstlerego. Und das von dieser Frau, die als absolut seriös einzustufen war, das hatte nicht nur meine Recherche sondern auch mein alter Freund bestätigt. Als wir uns anschließend noch ganz seriös Hundebilder schickten, sie vom italienischen Windspiel aus ihrer Kindheit und ich von meinem Whippet hatte ich mich längst entschieden. Nach dem Urlaub unterschrieb ich den Vertrag bei ERA und sagte den beiden anderen, ebenfalls unfassbar netten Agent*innen ab. Agentur 1 beglückwünschte mich sogar, so viel Sportlichkeit hatte ich nicht erwartet.
Im Oktober, noch vor der Buchmesse wurden die ersten beiden Teile meines Romanprojekts verschickt. Plötzlich lag mein Text auf den Schreibtischen der ersten Liga – und wurde gelesen. Die Liste der Verlage war ebenso beeindruckend wie die Absagen. Ein Programmchef bescheinigte mir Größenwahn, der andere wusste nicht, wie man das pitchen sollte (ist ja auch schwer, viel los da in Charlies Welt), aber die meisten waren angetan, bekamen es aber in ihrem Haus nicht durch oder es passte aus anderen Gründen nicht ins Programm. Es kam, wie von Elisabeth (wir sind nun auch per Du) vorausgesagt: Mehrere Verlage wollten den Stoff haben.
Am Ende entschied ich mich für den btb Verlag, die ganzen Rahmenbedingungen dort sind wirklich perfekt: Ich darf meinen eigenen Lektor mitbringen, was wohl ein nicht gerade alltäglicher Vorgang ist. Und dieser Lektor wird vom Verlag bezahlt und ist mein alter Freund Matthias Teiting. Wir haben früher zusammen gewohnt, zusammen geschrieben, musiziert und studiert und jetzt machen wir im nächsten Sommer, wenn ich alles fertig geschrieben habe gemeinsam mein Buch rund. Und zu allem Überfluss habe ich auch noch einen Hamburger Literaturförderpreis bekommen. Es ist wirklich ein bisschen übertrieben, wie gut es gerade läuft. Andererseits: Ich habe mir auch wirklich Mühe gegeben.
Falls also jemand Serotonin braucht, mein Körper produziert es gerade im Überfluss.
Die letzten Jobs als Motion Designer und Regisseur tröpfeln diesen Monat noch aus, machen zum Glück riesigen Spaß, doch noch mehr Freude macht die Arbeit an meinem Roman. Zur Zeit schreibe ich noch wie früher, morgens oder nachts, aber ab Januar bin ich dann erstmal: Schriftsteller.